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"Volatile Märkte und geopolitische Herausforderungen werden uns auch 2024 begleiten - trotzdem wollen wir wachsen"

Trotz der ausgebliebenen Erholung der Weltwirtschaft hat der weltweit führende Logistikkonzern DHL Group seine Jahresziele für 2023 erreicht. Mit einem Umsatz von 81,8 Milliarden Euro und einem operativen Ergebnis von 6,3 Milliarden Euro konnte der Konzern seine Leistungsfähigkeit erneut unterstreichen. Im Interview mit DHL Group News erläutert CEO Tobias Meyer, warum das abgelaufene Geschäftsjahr für den Konzern wie erwartet ein Jahr der Normalisierung war, wie sich DHL Group auf die Volatilität der Weltwirtschaft einstellt und welche Erwartungen er an 2024 hat.

Chief Executive Officer Tobias Meyer

Herr Meyer, wie bewerten Sie die Entwicklung von DHL Group im abgelaufenen Geschäftsjahr? 

Tobias Meyer: Das Geschäftsjahr 2023 war für DHL Group wie erwartet ein Jahr der Normalisierung. Nach den Ausnahmejahren 2021 und 2022 mit ihren Pandemieeffekten sind wir nun in der Nach-Corona-Welt angekommen. Und diese neue Welt konfrontiert uns mit weltwirtschaftlichen und geopolitischen Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund belegen unsere Zahlen für 2023 die Resilienz unseres Geschäftsmodells und zeigen, wie sehr sich die Ertragskraft von DHL Group strukturell verbessert hat. Denn auch ohne Rückenwind durch die Weltwirtschaft liegen Umsatz und operativer Gewinn deutlich über den Werten des Vor-Pandemie-Jahres 2019 - und das war damals ein Rekordjahr. Auch der Cashflow bewegt sich auf einem guten Niveau. Gerade im Vergleich zum Wettbewerb haben wir uns in nahezu allen Märkten gut geschlagen. 

DHL Group hatte für 2023 ursprünglich mit drei und zuletzt mit zwei makroökonomischen Szenarien geplant - und der Hoffnung auf eine Erholung der Weltwirtschaft zum Jahresende…

Tobias Meyer: …die sich leider nicht erfüllt hat. Von den nach dem Sommer verbliebenen beiden Prognoseszenarien ist es am Ende die "L-förmige" Entwicklung geworden. Eine (nennenswerte) Erholung der Weltwirtschaft ist leider ausgeblieben. Dennoch haben wir das abgelaufene Geschäftsjahr mit einem operativen Gewinn von 6,3 Milliarden Euro abgeschlossen. Damit liegen wir klar über den ursprünglich für dieses Szenario in Aussicht gestellten 6,0 Milliarden Euro und auch über der im Jahresverlauf auf 6,2 Milliarden Euro erhöhten Prognose. Jetzt zahlt sich unser vorausschauendes Handeln bei der Kapazitätsplanung, bei Preisanpassungen und bei Effizienzmaßnahmen aus. Beim Free Cashflow liegen wir weiterhin auf einem hohen Niveau: Ohne M&A-Aktivitäten übertreffen wir mit 3,3 Milliarden Euro sogar unsere Prognose.

Auch weil die Investitionen zurückgefahren worden sind?

Tobias Meyer: Es ist üblich, Investitionen in einem gewissen Umfang an die Volumenentwicklung anzupassen. Trotzdem haben wir im vergangenen Jahr mit 3,4 Milliarden Euro weit mehr als die Abschreibungen in unsere Zukunft investiert - etwa in den Ausbau unseres Netzwerks in internationalen Wachstumsmärkten und in emissionsarme Logistiklösungen. Darüber hinaus stehen die Themen Digitalisierung, Automatisierung und Verbesserung der Kundeninteraktion ganz oben auf unserer Agenda, um die Effizienz und Qualität unserer operativen Prozesse weiter zu verbessern. Angesichts der herausfordernden Rahmenbedingungen setzen wir mit diesen Investitionen ein deutliches Signal: Wir sind bereit dafür, steigende Nachfrage in Wachstum zu überführen, sobald die Weltwirtschaft wieder anzieht. Und wir sehen auch: Jede Herausforderung bringt ganz besondere Chancen. Wettbewerber haben ihre Investitionen und teils auch ihre Kapazitäten erheblich zurückgefahren. Onlinehändler investieren weniger in die eigene Zustelllogistik und nutzen wieder mehr Logistikanbieter wie DHL. E-Commerce hat noch viele Chancen - nicht nur in der Zustellung, sondern auch im Fulfillment und bei der Retouren-Bearbeitung.

Gleichzeitig investieren wir weiter in die Dekarbonisierung des Konzerns. 2023 konnten wir durch aktive Maßnahmen wie Investitionen in nachhaltige Flugkraftstoffe (SAF - Sustainable Aviation Fuel) und die Elektrifizierung unserer Fahrzeugflotte 1,3 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente vermeiden. 

Der Großteil des Konzerngewinns stammt aus den internationalen DHL-Aktivitäten. Wie bewerten Sie die Entwicklung in den einzelnen Divisionen? 

Tobias Meyer: Die bislang ausbleibende Erholung der Weltwirtschaft wirkt unterschiedlich auf die DHL-Divisionen. Negative Währungseffekte und geringere Volumen haben insbesondere Express belastet. Bei Global Forwarding, Freight macht sich die weitere Normalisierung der Frachtraten noch stärker in den Zahlen bemerkbar. Interessanterweise sinkt vor allem die Tonnage - nicht mehr die Anzahl der Sendungen. Dieser Trend zu einem geringeren Sendungsgewicht ist nicht untypisch für diese Phase des Konjunkturzyklus und lässt auf eine Erholung in absehbarer Zukunft hoffen. DHL Supply Chain hat bei Umsatz und Ergebnis weiter kontinuierlich zugelegt - was uns sehr freut. Bei der Division eCommerce ist das Geschäft weiter gewachsen, weil die Konsumenten auf den Onlinehandel setzen. Unsere fundamentalen Wachstumstreiber sind also intakt. Auch durch unsere Effizienzmaßnahmen und konsequente Preisanpassungen konnten wir die Auswirkungen der ungünstigen Rahmenbedingungen moderieren. In Summe haben wir unsere Profitabilität auf einem hohen Niveau gehalten. Das zeigt einmal mehr die Stärke unseres diversifizierten Logistikportfolios. 

Bei Post & Paket Deutschland war der Umsatz stabil, aber das Ergebnis ist deutlich eingebrochen - eine Folge der strukturellen Herausforderungen im Briefgeschäft?

Tobias Meyer: Kurz gesagt: Ja. Das Paketgeschäft entwickelt sich sehr stabil und profitiert vom Onlinehandel als Wachstumstreiber. Gerade das vierte Quartal war stark - auch weil wir erstmals einen saisonalen Preisaufschlag für Geschäftskunden erhoben haben. Im Briefgeschäft jedoch stehen deutlich rückläufige Sendungsmengen deutlich gestiegenen Personal- und Energiekosten gegenüber. Die Bundesnetzagentur hat bekanntermaßen die erforderliche Preisanpassung abgelehnt. Wir können die Kosten nicht an die Kunden weitergeben und das macht einen wirtschaftlichen und nachhaltigen Betrieb des Briefgeschäfts sehr schwierig.

Die Bundesregierung plant eine Novelle des Postgesetzes…

Tobias Meyer: …und der Gesetzesentwurf beinhaltet viele notwendige und teils überfällige Änderungen. Wir begrüßen zum Beispiel, dass durch die geänderten Laufzeitvorgaben Nachtflüge überflüssig werden und wir etwas mehr Flexibilität gewinnen. Wir begrüßen ebenso einen gesunden Wettbewerb, wenn er Anreize für Innovationen und bessere Servicequalität schafft. Wettbewerb mit der Brechstange in einem stark schrumpfenden Markt und unter Androhung hoher Bußgelder halten wir jedoch für fragwürdig. Die teilweise mit falschen Argumenten geführte Diskussion über die Besteuerung von Teilleistungen zeigt, mit welch harten Bandagen hier teilweise gekämpft wird. Dass Teilleistungen zum Universaldienst gehören, und deshalb nach EU-Recht von der Umsatzsteuer befreit werden müssen, ist gerichtlich festgestellt worden. Auch bei den Arbeitsbedingungen gibt es noch offene Fragestellungen und Forderungen.  Wichtig ist jetzt aber, dass es hoffentlich bald einen berechenbaren und auskömmlichen Regulierungsrahmen für das Postgeschäft in Deutschland geben wird. Die derzeitige Hängepartie muss ein Ende finden.

Wie blicken Sie insgesamt auf 2024? 

Tobias Meyer: Der Welthandel aber auch die Wirtschaft in Deutschland entwickeln sich weiter schwach. Der starke Zinsanstieg belastet Investitionen und die Immobilienwirtschaft ist gerade in China weiter in einer schweren Krise. Insbesondere in den USA und in Großbritannien werden Hypotheken oft zu variablen Zinsen abgeschlossen - dort mindert das höhere Zinsniveau noch stärker den Konsum. 

Auch der Ukrainekrieg, der Nahostkonflikt und Überfälle auf Schiffe im Roten Meer sowie die Wasserknappheit im Panamakanal belasten den Welthandel. Diese Faktoren sorgen insgesamt für mehr Volatilität und werden uns 2024 weiter begleiten. 

Die Weltwirtschaft muss eine neue Balance finden zwischen Widerstandsfähigkeit und Effizienz. Nicht nur in Deutschland stellt man fest: Die kombinierten Mehrausgaben für Verteidigung, soziale Absicherung und den Umbau zu einer klimaneutralen Wirtschaft sind nicht zu stemmen. Insbesondere dann nicht, wenn das wirtschaftliche Wachstum durch immer mehr Bürokratie und unvorhersehbare regulatorische Rahmenbedingungen belastet wird. Gerade die Investitionszurückhaltung ist auch politisch bedingt. 

Dennoch: wir sind mit unserer weltweiten Präsenz sehr gut aufgestellt und diese wirtschaftliche Situation eröffnet auch viele Chancen. So bieten wir weltweit Logistiklösungen an und können unsere Kunden bei der Diversifizierung und Stärkung ihrer Lieferketten sehr gut unterstützen. Und in einigen Märkten wird es zu einer Konsolidierung kommen - auch davon können wir profitieren.

Was bedeutet das konkret für Ihre Erwartungen an das Geschäftsjahr 2024? 

Tobias Meyer: Der Welthandel hat zum Jahresauftakt keine signifikante Belebung erfahren. Gerade Europa schwächelt mit Blick auf die Wachstumserwartungen und scheint gegenüber Asien und den USA abgeschlagen. Mit Blick auf die anhaltenden geopolitischen Spannungen erwarten wir auch nicht, dass die globale Nachfrage in der ersten Jahreshälfte schnell anzieht. Auch deshalb liegt unser Fokus weiterhin auf dem Kostenmanagement. In der zweiten Jahreshälfte könnte die Weltwirtschaft wieder deutlicher an Fahrt zulegen. Vor dem Hintergrund dieses insgesamt unsichereren Umfeldes rechnen wir für 2024 mit einem operativen Ergebnis zwischen 6,0 und 6,6 Milliarden Euro und einem Free Cashflow ohne M&A-Aktivitäten von 3,0 Milliarden Euro. Natürlich würden wir uns mehr Rückenwind erhoffen, doch selbst unter schwierigen Rahmenbedingungen bewegen wir uns mit unserer Prognose deutlich über den Werten des Vor-Pandemie-Jahres 2019.