"Wir wachsen wieder stärker - und es gibt noch viel zu tun"
Der Rückenwind durch eine Belebung der Weltwirtschaft ist bislang ausgeblieben. Trotz der anhaltend schwachen Weltkonjunktur wächst der Umsatz des weltweit führenden Logistikkonzerns DHL Group im dritten Quartal 2024 um 6,2 % auf 20,6 Milliarden Euro (Q3 2023: 19,4 Milliarden Euro). Das operative Ergebnis (EBIT) liegt mit 1,4 Milliarden Euro auf Vorjahresniveau. Im Interview mit DHL Group News analysiert CEO Tobias Meyer die jüngsten wirtschaftlichen Entwicklungen, blickt auf die neue Strategie 2030 und erklärt, warum DHL Group trotz des anstehenden Starkverkehrs ihre Prognose für das Geschäftsjahr 2024 angepasst hat.
Herr Meyer, wie bewerten Sie die Entwicklung von DHL Group im dritten Quartal?
Tobias Meyer: Das makroökonomische Umfeld bleibt weiterhin sehr herausfordernd. Deutschland ist erneut in die Rezession gerutscht und auch von Europa gehen keine signifikanten Wachstumsimpulse aus. Aufgrund unseres hohen Umsatzanteils in Europa trifft uns dies härter als Wettbewerber, die insbesondere in den USA stärker gewachsen sind. Natürlich hätten wir uns einen konjunkturellen Impuls gewünscht. Aber in Anbetracht der Gesamtsituation liegt unser Ergebnis im dritten Quartal im Rahmen der Erwartungen. Herausfordernd waren vor allem die Entwicklungen der Briefmengen und des Luftfracht-Speditionsgeschäfts. Wir sind beim Umsatz in allen Divisionen gewachsen. Das operative Ergebnis liegt auf Vorjahresniveau. Zuvor hatten wir sieben Quartale in Folge, in denen das EBIT nach dem Corona-Boom der Jahre 2021 und 2022 rückläufig war. Hier sehen wir nun eine Bodenbildung - und zwar auf einem deutlich höheren Niveau als vor der Pandemie. Das zeigt einmal mehr, dass wir mit unserem breiten Logistikportfolio sehr gut und resilient aufgestellt sind.
In den nächsten Jahren soll der Konzern schneller und nachhaltig wachsen. Das ist der Kern der neuen "Strategie 2030", die Sie im September vorgestellt haben. Wie sind Ihre Pläne aufgenommen worden?
Tobias Meyer: Die Rückmeldungen sind ausgesprochen positiv - sowohl von internen als auch von externen Stakeholdern. Von Kunden erhalten wir viel Zuspruch für unsere Pläne, sie bei der Dekarbonisierung ihrer Lieferketten noch aktiver zu unterstützen. Der Kapitalmarkt sieht, dass wir noch stärker in lukrativen Zukunftsmärkten investieren wollen. Gleichzeitig werden wesentliche Annahmen unserer Strategie gerade von der Realität bestätigt: Viele Industriezweige erleben herausfordernde Zeiten und das Wirtschaftswachstum kommt vor allem aus den USA und Asien. Unser neuer strategischer Fokus auf wachstumsstarke Regionen und Sektoren mit strukturellem Rückenwind wie Life Sciences & Healthcare und Neue Energien wird sich mittelfristig auszahlen.
Lassen Sie uns einen Blick auf Deutschland werfen: Post & Paket Deutschland hat beim Umsatz zwar leicht zugelegt, das Ergebnis ist aber deutlich zurückgegangen. Was ist der Grund dafür?
Tobias Meyer: Die grundsätzlichen Herausforderungen für Post & Paket bleiben trotz des neuen Postgesetzes bestehen. Die letzte Portoerhöhung liegt fast drei Jahre zurück. Seitdem sind die Briefmengen deutlich gesunken und die Kosten für Personal und Energie sprichwörtlich explodiert. Was immer stärker zutage tritt: Nicht nur das klassische Briefvolumen geht zurück, es wird auch immer weniger Werbepost verschickt. Im Dialogmarketing liegen die Sendungsmengen fast 40 Prozent unter dem Vor-Corona-Niveau. Damit fehlen uns erhebliche Volumen, die das System bislang gestützt haben. Dies wird vor allem dann ein Problem, wenn die Regulierungsbehörde vor diesen Realitäten die Augen verschließt und wir das Briefporto nicht angemessen erhöhen dürfen.
Aber DHL Group hat doch das wachsende Paketgeschäft...
Tobias Meyer: Es ist richtig, dass das Paketgeschäft in den vergangenen Jahren erfreulich zugelegt hat. Das unterstreicht auch, dass die Investitionen in das Paketgeschäft und die Ausweitung der Verbundzustellung die richtige Strategie für die Division ist. Doch bei aller Freude über diese Entwicklung des Paketgeschäfts können wir die Rückgänge im Briefgeschäft nicht ignorieren. Den jüngsten vorläufigen Entscheid der Bundesnetzagentur zur Preisgestaltung im regulierten Markt ab 2025 sehen wir vor dem Hintergrund kritisch. Wir hatten mit einem Vorschlag gerechnet, der Inflation und Briefmengenrückgang Rechnung trägt. Der nun bestimmte Spielraum ist aus unserer Sicht viel zu knapp und berücksichtigt die hohe Inflation der letzten Jahre absolut unzureichend. Um einmal zu verdeutlichen, warum das so ist: Wir rechnen zwischen 2022 und 2026 mit einer kumulierten Inflation von knapp 21 Prozent bei gleichzeitigem Rückgang der Briefmengen von rund 36 Prozent. Die Regulierungsbehörde hat uns im gleichen Zeitraum für Briefeinzelsendungen jedoch nur eine Preiserhöhung von 4,6 Prozent (2022-2024) und vorläufig 10,5 Prozent (2025-2026) - kumuliert also 15,6 Prozent - zugestanden, also noch nicht einmal den Inflationsausgleich.
Schauen wir auf die internationalen DHL-Divisionen. Wie bewerten Sie die Entwicklung hier?
Tobias Meyer: Gerade vor dem Hintergrund der makroökonomischen Lage machen auch unsere Teams in den DHL-Divisionen eine sehr gute Arbeit. Express konnte trotz einer weiterhin zurückhaltenden Volumenentwicklung im B2B-Geschäft Umsatz und EBIT im dritten Quartal steigern. Global Forwarding, Freight hat beim Umsatz zugelegt, aber der Markt bleibt insgesamt volatil. Supply Chain bleibt unser Fels in der Brandung mit einem ansehnlichen Umsatzplus und zweistelligem Ergebniswachstum. Und auch der Bereich eCommerce entwickelt sich sehr erfreulich mit einem zweistelligen Umsatzplus und einem angemessenen Ergebnisbeitrag. Die EBIT-Entwicklung ist hier vor allem auf die Investitionen in die Qualität unseres Netzwerks zurückzuführen.
Was heißt das für Ihre Erwartungen ans vierte Quartal?
Tobias Meyer: Das Schlussquartal ist für DHL Group traditionell die intensivste Zeit des Jahres. Wir rechnen mit dem typisch positiven saisonalen Geschäftsverlauf. Unser oberstes Ziel ist es, auch in dieser Phase mit hohen Sendungsmengen die bestmögliche Qualität für unsere Kunden zu liefern. Gute Vorbereitung ist da besonders wichtig. Express beispielsweise setzt zusätzliche Boeing 777-Frachtflugzeuge ein, mit denen wir die wichtigen Routen zwischen Asien und Europa bedienen. Supply Chain plant, neben rund 5.000 temporären Arbeitskräften fast 500 zusätzliche Roboter einzusetzen. Zugleich wollen wir aber auch die höheren Sendungsmengen in eine positive Ergebnisentwicklung übersetzen. Dazu haben wir unter anderem einen Nachfragezuschlag für internationale Expresssendungen eingeführt. Entsprechend optimistisch blicken wir auf den Starkverkehr.
Der Starkverkehr kann also kommen. Doch was erwarten Sie sich vom Ausklang des Geschäftsjahres 2024 angesichts fehlender konjunktureller Wachstumsimpulse insgesamt?
Tobias Meyer: In den nationalen Paketgeschäften scheint die saisonale Beschleunigung der E-Commerce-Lieferungen an Konsumenten seit Ende September wie erwartet einzutreten. Die B2B-Volumen sind hingegen weiter durch eine schwache wirtschaftliche Dynamik geprägt. Im dritten Quartal ist zudem der strukturelle Rückgang im Briefgeschäft mit seinen hohen Fixkosten stärker ausgefallen.
Stand heute gehen wir weiterhin davon aus, dass der Konzern bis Jahresende von einem saisonalen Anstieg der B2C-Sendungsmengen profitieren wird. Für die Entwicklung der B2B- und Briefvolumen deutet sich jedoch aktuell auf Basis der Entwicklung im Oktober weiterhin keine positivere Dynamik an. Auch in der Luftfracht-Spedition bleiben die Margen - trotz saisonal bedingt leicht steigender Mengen - weiterhin hinter den Erwartungen zurück.
Entsprechend haben wir uns entschieden, die EBIT-Prognose für das Geschäftsjahr 2024 von 6,0 bis 6,6 Milliarden Euro auf nun über 5,8 Milliarden Euro anzupassen und erwarten beim Free Cashflow statt bisher rund 3 Milliarden jetzt 2,8 bis 3,0 Milliarden Euro. Gleiches gilt aufgrund der nun geringeren Ausgangsbasis auch für unsere Ergebniserwartung im Jahr 2026. Hier rechnen wir jetzt mit über 7,0 Milliarden Euro statt wie bisher mit 7,5 bis 8,5 Milliarden Euro. Die Erwartungen für den Free Cashflow im gleichen Zeitraum bleiben unverändert.
Da wir die konjunkturelle Entwicklung nicht beeinflussen können, konzentrieren wir uns weiterhin auf die Qualität unserer Dienstleistungen, Preisanpassungen und eine hohe Kosteneffizienz. Dass die Maßnahmen greifen, zeigt auch die Bodenbildung bei Umsatz und EBIT im dritten Quartal. Wir wachsen also wieder stärker, und gibt es viel zu tun. In Kombination mit unserer guten Vorbereitung auf den Starkverkehr macht mich dies zuversichtlich, dass wir das herausfordernde Jahr 2024 positiv abschließen werden.