Dass der Transportsektor einen gigantischen CO₂-Fußabdruck hat, ist kein Geheimnis - genauso wenig wie die Tatsache, dass eine Verringerung der Emissionen der Branche eine entscheidende Rolle im Kampf gegen den Klimawandel spielt. Auch wenn es Technologien wie Elektro- und Wasserstoffantriebe brauchen wird, um den Personen- und Güterverkehr vollständig zu dekarbonisieren, haben wir jetzt schon Möglichkeiten, die Emissionen zu reduzieren.

Nachhaltige Kraftstoffe stehen zur Verfügung, und zwar in immer größeren Mengen. Die Produktion von nachhaltigem Flugzeugtreibstoff (Sustainable Aviation Fuel, SAF) ist allein im Jahr 2022 um 200 Prozent gestiegen.

Das Problem: Man kann seinen Lkw - oder sein Flugzeug - nicht einfach an einer beliebigen Tankstelle mit nachhaltigem Kraftstoff betanken. Nachhaltige Kraftstoffe werden über bestehende Lieferketten transportiert und mit fossilen Brennstoffen gemischt. Dadurch lässt sich nicht ermitteln, wie viel davon im Tank eines bestimmten Fahrzeugs landet.

In der Vergangenheit stand die Energiebranche vor einer ähnlichen Herausforderung. Die meisten von uns wohnen nicht in der Nähe eines Wind- oder Solarparks und wir haben keine Kontrolle darüber, wo der Strom herkommt, den wir in unserem Zuhause verbrauchen. Aber wenn wir erneuerbare Energie kaufen möchten, können wir das tun. Dadurch kommt vielleicht kein Ökostrom aus unserer Steckdose, aber unser Geld finanziert anderswo die Erzeugung erneuerbarer Energie.

Dasselbe Konzept gibt es jetzt auch für nachhaltige Kraftstoffe: ein unter der Bezeichnung "Book & Claim" bekanntes Chain-of-Custody-Modell, das den ökologischen Nutzen nachhaltiger Kraftstoffe vom physischen Produkt entkoppelt und in Form eines Zertifikats nachprüfbar auf ein Unternehmen überträgt.

Damit handelt es sich um eine virtuelle Lösung für ein physisches Problem auf Basis eines One-Atmosphere-Ansatzes. Da alle THG-Emissionen in dieselbe Atmosphäre freigesetzt werden, spielt es für den Planeten keine Rolle, welches Fahrzeug, Schiff oder Flugzeug nachhaltige Kraftstoffe anstelle von fossilen Brennstoffen verbrennt.

Das Book-and-Claim-System ist im Wesentlichen eine Möglichkeit, bestimmte Attribute - zum Beispiel reduzierte THG-Emissionen - von einem physischen Produkt zu entkoppeln und sie separat über ein spezielles Register an eine andere Partei zu übertragen. Dabei müssen Käufer und Verkäufer nicht über eine physische Lieferkette miteinander verbunden sein. Zum Kaufzeitpunkt "bucht" der Käufer eine bestimmte Menge eines nachhaltigen Kraftstoffs und beansprucht ("claim") die Emissionsreduktion dann für die eigenen Nachhaltigkeitsziele. Dadurch kann der Käufer den Umweltnutzen geltend machen, ohne den Kraftstoff tatsächlich physisch zu besitzen. Er erhält ein von unabhängiger Seite verifiziertes Zertifikat, das seinen Anspruch bestätigt (mehr hierzu weiter unten).

Book & Claim beruht auf dem Konzept des Carbon Insetting, bei dem es um die Finanzierung von Projekten mit dem Ziel einer Verringerung des CO₂-Ausstoßes innerhalb einer Branche geht. Carbon Insetting unterscheidet sich vom traditionellen Carbon Offsetting, bei dem es um die Finanzierung von CO₂-Kompensationsprojekten wie Baumpflanzungen geht. Wenn sie richtig und branchenweit eingesetzt werden, können Book & Claim-Systeme die Klimabilanz des Transportsektors erheblich verbessern.

Das Book & Claim-System orientiert sich am Vorbild der Herkunftsnachweise für Energie aus erneuerbaren Quellen (Energy Attribute Certificates, EACs), einem effektiven marktbasierten Ansatz, der die Nachfrage nach erneuerbarer Energie nachhaltig angekurbelt hat. Einem Anbieter wird für die Produktion einer bestimmten Menge (zum Beispiel einer Tonne) eines aus nachhaltigen Rohstoffen hergestellten Kraftstoffs ein Zertifikat ausgestellt. Beim Kauf nachhaltigen Kraftstoffs über ein Book & Claim-System erhält der Käufer dieses von unabhängiger Seite verifizierte Zertifikat. Auch wenn seine eigenen Pakete oder Frachtstücke also nicht unbedingt mit einem Flugzeug oder Schiff transportiert wurden, das mit nachhaltigem Kraftstoff betrieben wird, kam dieser Kraftstoff für den Transport irgendeiner anderen Sendung irgendwo auf der Welt zum Einsatz. Sein Kauf hat fossile Brennstoffe ersetzt und einen Beitrag zur Senkung des CO₂-Ausstoßes des Transportsektors geleistet - und diesen Nachhaltigkeitsbeitrag kann er für sich geltend machen.

Es ist wichtig festzuhalten, dass nicht alle vom Book & Claim-System profitieren. Wenn Kraftstoffhersteller den physischen Kraftstoff verkaufen, können die Fluggesellschaften oder Reedereien, die diesen nachhaltigen Kraftstoff kaufen und dafür entsprechende Zertifikate erhalten, den Umweltnutzen in ihrer Klimabilanz in Form einer Verringerung ihrer direkten THG-Emissionen (Scope 1) geltend machen. Logistikunternehmen wie Expressdienste und Spediteure können Ansprüche für den Wert der indirekten Emissionsreduktionen (Scope 3) kaufen. Und sie können die Scope-3-Emissionsreduktion an ihre Kunden weiterreichen. Scope-1- und Scope-3-Emissionsminderungsansprüche können separat gekauft werden.

Das Book & Claim-System mag ein relativ einfaches Buchhaltungsmodell sein - tatsächlich aber ist es eine innovative Lösung für ein komplexes Problem. Es ermöglicht jedem, einen Beitrag zur nachhaltigen Logistik zu leisten. Egal, ob sie ein Paket oder eine Palette versenden, können Privatpersonen und Unternehmen am Markt für nachhaltige Kraftstoffe teilnehmen - und die Emissionssenkung für die eigenen Nachhaltigkeitsziele geltend machen. Auch wenn ihre Waren dadurch rein technisch betrachtet vielleicht nicht unter Einsatz nachhaltiger Kraftstoffe befördert werden, geben sie mit ihrem Kauf ein Nachfragesignal an den Markt ab, das für die Lieferanten weltweit ein Anreiz sein kann, ihre Produktion zu steigern. Und um den CO₂-Fußabdruck des Transportsektors zu reduzieren und die weltweiten Klimaziele zu erreichen, müssen wir das Angebot an nachhaltigen Kraftstoffen rasch hochfahren.

Eine nachhaltige Wirtschaft ist ohne eine nachhaltige Logistik nicht vorstellbar. Das Book & Claim-System hilft uns, beiden einen Schritt näher zu kommen.